Mädchen können kein MINT?
Von Geschlechterstereotypen und Lösungsansätzen
Nachdem wir im zweiten Beitrag unserer Serie von Blogbeiträgen zum Thema „Mädchen und Frauen in MINT“ über unser Themenspezial zu gendersensibler MINT-Didaktik berichtet haben, geht es in diesem Beitrag um Stereotype. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was (Geschlechter-)Stereotype eigentlich sind, warum sie eine große Rolle für die Beteiligung von Mädchen und Frauen in MINT spielen und wie wir ihnen lösungsorientiert begegnen können.
Was sind Stereotype?
Jede:r von uns hat Stereotype, Bilder im Kopf, die uns helfen, die Welt zu vereinfachen. Stereotype basieren darauf, dass wir bei einzelnen Menschen Unterschiede und Gemeinsamkeiten wahrnehmen und sie dann gewissermaßen in unterschiedlich beschriftete Schubladen einordnen. Stereotype selbst entstehen schließlich in einem zweiten Schritt: Wir schreiben den Personen in der jeweiligen Schublade bestimmte Eigenschaften zu. Das können beispielsweise Verhaltensweisen oder eine bestimmte Kompetenz in einem Bereich sein. Zugewiesen werden diese Eigenschaften unter anderem aufgrund des Alters oder der Hautfarbe, aufgrund von Berufsgruppen oder Nationalitäten.
Was sind Geschlechterstereotype?
Wir sprechen von Geschlechterstereotypen, wenn wir einzelnen Menschen bestimmte Eigenschaften allein deshalb zuweisen, weil sie zur Gruppe der weiblichen Personen oder zur Gruppe der männlichen Personen gehören. Dabei berücksichtigen wir nicht, dass Unterschiede innerhalb einer Geschlechtergruppe sogar größer ausfallen können als Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen (Hannover & Wolter, 2019). Das bedeutet, dass Geschlechterstereotype Verallgemeinerungen über die Eigenschaften von Mädchen und Frauen beziehungsweise Jungen und Männern sind.
Die soziale Umwelt und die Medien vermitteln Mädchen und Jungen von klein auf zahlreiche stereotype Verhaltensmuster und Vorstellungen. Kindern ist beispielsweise sehr früh klar, welche Spielzeuge für Mädchen und welche für Jungen sind. Es wird auch vermittelt, welche Verhaltensweisen und welche Eigenschaften häufiger bei Frauen und welche häufiger bei Männern zu finden sind. Dazu gehören auch ein eher rationales Männerbild und ein eher emotionales Frauenbild.
Was haben Geschlechterstereotype mit Mädchen und Frauen in MINT zu tun?
Diese verallgemeinerten Annahmen über Mädchen und Frauen, Jungen und Männer betreffen auch schulische Fähigkeiten wie zum Beispiel die stereotype Vorstellung vom mathematisch-naturwissenschaftlich begabten Mann und der mathematisch-naturwissenschaftlich unbegabten Frau. Während auf der Schublade für die Jungen steht, dass sie weniger begabt für den verbalen Bereich seien, werden Mädchen nach wie vor häufig mit einer geringeren Begabung für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich in Verbindung gebracht (Heyder, Kessels & Retelsdorf, 2019). Auch bestimmte Fächer und Berufe gelten als typisch männlich beziehungsweise als typisch weiblich. Während mathematisch-naturwissenschaftliche Berufe wie Ingenieur:in oder Physiker:in als typisch männlich eingestuft werden, werden soziale Berufe wie Erzieher:in oder Sozialarbeiter:in als typisch weibliche Berufe angesehen.
Dies führt letztlich dazu, dass sich viele Mädchen und Frauen nicht zum MINT-Bereich zugehörig fühlen und sich nicht mit MINT identifizieren können. Mädchen beginnen zu glauben, dass sie in MINT weniger erfolgreich sein werden, schätzen auch bei gleichen Leistungen ihre MINT-Kompetenzen schlechter ein als Jungen und entscheiden sich schließlich gegen den MINT-Bereich, wenn sie vor einer entsprechenden Wahl stehen.
Geschlechterstereotype können dabei wie selbst erfüllende Prophezeiungen wirken. Studien konnten zeigen, dass Eltern die Kompetenzen ihrer Kinder unterschiedlich einschätzen: Von ihren Töchtern glauben sie beispielsweise, dass sie sich in Mathematik mehr anstrengen müssen als ihre Söhne. Die Erwartungshaltung der Eltern kann dazu führen, dass Mädchen sich selbst entsprechend wahrnehmen und weniger als Jungen von ihren Fähigkeiten in Mathematik überzeugt sind. Das kann unter anderem dazu führen, dass Mädchen weniger anspruchsvolle Mathematikkurse belegen, was schließlich auch schlechtere Leistungen nach sich ziehen kann (vgl. auch Hannover & Wolter, 2019).
Wie können wir Geschlechterstereotypen entgegenwirken?
Eltern und Lehrkräfte, Gleichaltrige und Medien üben eine entscheidende Wirkung auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Geschlechterstereotypen aus, indem sie Mädchen und Jungen eine Vorstellung darüber vermitteln, was typisch männlich und typisch weiblich ist. Deshalb ist ein bewusster Umgang mit Geschlechterstereotypen wichtig, damit Mädchen und Jungen ihre MINT-Talente frei von Geschlechterstereotypen entfalten können.
Um dauerhafte Veränderungen erreichen zu können, ist eine entsprechende (Gender-)Sensibilisierung bei allen Beteiligten im Umfeld der Kinder anzustreben. Für Lehrkräfte und Anbieter:innen von MINT-Bildungsangeboten könnte dies durch entsprechende Aus- und Fortbildungsangebote erreicht werden. Eltern und pädagogische Fachkräfte können darauf achten, wie sehr sie selbst in ihrem Denken, Fühlen und Handeln von Geschlechterstereotypen beeinflusst werden, um diese möglichst wenig weiterzugeben – beispielsweise indem sie keine negativen Einstellungen gegenüber MINT als Beschäftigungsmöglichkeit für Mädchen und Frauen äußern.
Auch die Medien spielen hier eine wichtige Rolle. Obwohl einige positive Veränderungen zu verzeichnen sind, besteht in den Printmedien und im Fernsehen nach wie vor ein Mangel an weiblichen Rollenmodellen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Man kann sich fragen, wie nachhaltig die Fördereffekte eines gelungenen, nachmittäglichen MINT-Bildungsangebots sein können, wenn die Mädchen abends ihre Lieblingsserien schauen, in denen Männer Ingenieure, Physiker und Techniker sind, während Frauen dagegen überwiegend als Lehrerinnen, Sekretärinnen und Hausfrauen dargestellt werden.
Es sollte deshalb angestrebt werden, möglichst viele Aspekte der Lebensumwelt von Mädchen und Jungen positiv zu verändern, um den starken Einfluss von Geschlechterstereotypen auf die Beteiligung von Mädchen und Frauen in MINT dauerhaft zu verändern.
Ihr wollt mehr zum Thema Stereotype erfahren? Hier geht es zur Zusammenfassung einer Studie über die spannende Frage, wie sich Stereotype auf die Teilnahme von Mädchen an naturwissenschaftlichen Wettbewerben auswirken.
Hannover, B., & Wolter, I. (2019). Geschlechtsstereotype: wie sie entstehen und sich auswirken. In B. Kortendiek, B. Riegraf & K. Sabisch (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung (S. 201–210). Wiesbaden: Springer.
Heyder, A., Kessels, U., & Retelsdorf, J. (2019). Geschlechterstereotype in der Schule. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 51(2), 69–70.
https://doi.org/10.1026/0049-8637/a000209
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